Die neue Synagogengemeinde
In der Zeit, zwischen Kriegsende und 1946 kehrten die ersten saarländischen Juden, die bereits vor dem Holocaust im Saarland ansässig waren und in der Emigration überlebt hatten, aus dem Ausland zurück. Zeitgleich waren einige jüdische Displaced Persons mehr oder weniger zufällig im Saarland angelangt. Sie stammten aus osteuropäischen Ländern und waren ins Deutsche Reich verschleppt worden, um für die deutsche Kriegsindustrie zu arbeiten. 1945 waren sie aus Konzentrationslagern oder aus ihrer Zwangsarbeit befreit worden, konnten oder wollten aber nicht mehr in ihre Heimatländer (Polen, Russland, Ungarn, Rumänien) zurückkehren, weil dort der Antisemitismus noch zu gefährlich war und sie außerdem meistens ihre Angehörigen im Holocaust verloren hatten. Sie haben in Saarbrücken Kontakt zu einheimischen Juden gesucht und gefunden. Die zurückgekehrten ehemaligen Saarländer zusammen mit diesen jüdischen Displaced Persons gründeten am 2. Juni 1946 im kleinen Sitzungssaal des Saarbrücker Rathauses die „Jüdische Kultusgemeinde Saarbrücken“. Der Zuständigkeitsbereich dieser Gemeinde sollte in der Folge auf das gesamte Saargebiet ausgedehnt werden. Am 1. August 1946 stellte deshalb der inzwischen gewählte erste Vorstand der Gemeinde (Senatspräsident Alfred Levy als Vorsitzender, RA Gustav Levy und Dr. med. Carl-Joseph Ruben) an die Regierung den Antrag auf Bildung eines Synagogenbezirks für das gesamte Saargebiet. Diesem Verlangen wurde durch einen Erlass des Regierungspräsidenten Dr. Hans Neureuter mit Wirkung vom 1. August 1946 stattgegeben. Die bisherigen Einzel-Synagogengemeinden der Vorkriegszeit wurden demnach aufgelöst und die neugebildete „Synagogengemeinde Saar“ zu ihrer Rechtsnachfolgerin erklärt.
Bemerkenswert ist dabei, dass, obwohl die meisten der Gründerväter keine sehr observanten Juden waren, sie dennoch das typisch deutsche Modell der Vorkriegszeit, die Kultusgemeinde, als Rechtsform Form für die neue jüdische Gemeinde wählten und diese Wahl im Namen noch unterstrichen. Dies hatte neben religiösen, vornehmlich praktisch-juristische Gründe: So konnte die neue Gemeinde den Anspruch der Rechtsnachfolge der Vorkriegsgemeinden anmelden und auf die Erhebung von Kultussteuern pochen.
Die alte Saarbrücker Vorkriegssynagoge existierte nicht mehr, lediglich das angrenzende ehemalige Gemeindehaus in der Futterstrasse stand noch. Dort diente fürs Erste ein Raum als provisorischer Gebetsraum. Das Anliegen der Gemeindeleitung, regelmäßige Gottesdienste stattfinden zu lassen, wurde von den amtlichen städtischen und staatlichen Stellen wohlwollend gefördert. Bald diente ein Raum im damaligen Landesmuseum am St. Johanner Markt (heute Stadtgalerie) als provisorischer Gebetsraum; in den folgenden Jahren wurde er durch den Roten Saal des Johannishofes in der Mainzer-Straße abgelöst. Die erste Mitgliederversammlung am 13. Juni 1948 fand im kleinen Sitzungssaal des Saarbrücker Rathauses statt.
Bezüglich des Personals beschränkte man sich zunächst auf das allernötigste: Walter Kasel, ein Kantor, der gleichzeitig die Funktion des Religionslehrers übernehmen und auch die Sekretariatsarbeit bewältigen sollte, wurde 1948 eingestellt, ebenso ein Hausmeisterehepaar. Etwas später kamen eine Halbtagssekretärin und ein Organist dazu. Samy Wachsmann fungierte über mehrere Jahre als Baal Kore für die Lesungen aus der Tora.
Unter den ersten Aufgaben, die es zu lösen galt, waren die Schaffung rechtlicher Grundlagen und vornehmlich die Ausarbeitung einer Satzung für die neue Gemeinde. Des Weiteren galt es die Finanzierung der Verwaltung zu sichern. In den Anfangsjahren ergingen mehrere Spendenaufrufe an die Gemeindemitglieder. Nach und nach flossen Gelder aus dem Verkauf restituierter Grundstücke und Synagogengebäude von ehemaligen Gemeinden, die nun nicht mehr benötigt und veräußert wurden.
Ein wichtiges Thema bei der Neugründung einer jüdischen Gemeinde, der Ankauf eines Grundstücks zur Erstellung eines eigenen Friedhofs (jüdische Gräber müssen auf ewig bestehen bleiben, Wiederbelegungen sind religiös nicht erlaubt), stellte sich glücklicher Weise nicht, da die Saarbrücker Vorkriegsgemeinde ihren zweiten, großzügig geplanten Friedhof erst 1917 angelegt hatte und dieser noch ausreichende Platz für weitere Belegungen bot. Er musste lediglich instandgesetzt werden. Die dazugehörige Friedhofshalle wurde erst in den Jahren 1962/63 ausgebaut.
Große Beträge mussten insbesondere auch für die Instandsetzungen der sechzehn anderen, über das ganze Saarland verteilten Friedhöfe der früheren jüdischen Gemeinden, die die neue Gemeinde als Nachfolgerin und Erbin der Vorkriegsgemeinden nun zu verwalten hatte, aufgebracht werden. Sie waren in der NS-Zeit verwüstet worden: der Saarwellinger Friedhof war Anfang der 40er Jahre sogar eingeebnet worden und in Saarbrücken waren Grabsteine des alten Friedhofs an der Graf-Simon-Straße als Baumaterial für den Bau des Völklinger Stadions abtransportiert worden. Grabsteine mussten, soweit es möglich war, Gräbern wieder zugeordnet werden. Im Herbst 1953 wurde beschlossen, auf dem jüdischen Friedhof in Neunkirchen auf der Spieser Höhe sowie auf dem Saarbrücker Friedhof Zum Zollstock und auf dem Friedhof in Sötern Kissensteine auf den Einzelgräbern anzubringen, die identifizierbar sind und keine Grabsteine haben, weil diese entweder zerstört wurden oder wegen der Ermordung der Angehörigen nicht in Auftrag gegeben werden konnten.
Ebenfalls viel Geld wurde für die soziale Versorgung von durchwandernden Displaced Persons und notleidenden älteren Gemeindemitgliedern benötigt.
Ein Teil dieser Aufgaben wurde mit Unterstützung überregionaler Organisationen bewältigt. Von Anfang an bestand eine enge Zusammenarbeit mit dem 1951 gegründeten Zentralrat der Juden in Deutschland sowie für den sozialen Bereich mit der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und mit der Liga der Freien Wohlfahrtspflege Saar, dessen Mitglied die Synagogengemeinde Saar als anerkannter jüdischer Wohlfahrtsverband von Anbeginn war.