Die jüdische Ehe und Scheidung
Die jüdische Hochzeit
Die Institution der Ehe gilt im jüdischen Glauben als heiliges Gebot. Der ehelose Mensch wird als unvollkommen betrachtet. Ein sich bewusst für Ehelosigkeit entscheidender Mensch verstößt gegen das göttliche Gebot, durch Nachkommen für den Fortbestand des Glaubens zu sorgen. Der Mann soll Vater und Mutter verlassen und einem Weibe anhängen und sie sollen zu einem Fleische werden heißt es im 1. B. Moses, 2:24. „Seid fruchtbar und mehret euch, und füllet die Erde“ heißt es außerdem im 1. Buch Moses. Es ist also göttliche Absicht, die menschliche Gattung zu vermehren. Der Hochzeit kommt daher besondere Bedeutung zu, weshalb nach dem Talmud sogar das Torastudium unterbrochen werden darf, um mit Brautleuten zu feiern.
Wenn ein junger Mann und eine junge Frau sich gefunden haben, wird die Hochzeit ausgerichtet. In sehr streng orthodoxen Kreisen werden Ehen immer noch von einem „Schadchen“ (Ehevermittler) arrangiert, der einen „Schidduch“ abschließt, eine für alle Parteien befriedigende Übereinkunft.
Außerhalb Israels, also in Ländern in welchen eine zivile Trauung existiert, wird diese zwingend vor einer religiösen Trauung verlangt.
Eine Verlobung im bürgerlichen Sinn gibt es im Judentum nicht, vielmehr ist mit der Verlobung die Ehe bereits vollzogen und rechtlich bindend. Ursprünglich war die Zeremonie der Verlobung durch einen Zeitraum von 12 Monaten von der Heimführung, d.h. von der Begründung eines gemeinsamen Hausstandes, getrennt. Seit dem 12. Jahrhundert sind beide Akte in einer Zeremonie miteinander vereinigt und die Hochzeit besteht aus dem Zeremoniell der Verlobung – der Anheiligung – und der Heimführung.
Eine jüdische Hochzeit kann prinzipiell an jedem Werktag der Woche stattfinden, nicht am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen, denn an diesen Tagen (Schreibverbot) dürfen die Trauzeugen keine Unterschrift leisten. Bevorzugt wird der Dienstag, also der 3. Tag der Woche (So=1.), von dem es im 1. B. Moses I,12f. gleich zweimal heißt: „…Gott sah, dass es gut war“.
Nicht geheiratet werden kann in der Omerzeit, der Trauerzeit zwischen Pessach und Schawuot, mit Ausnahme des Halbfeiertags „Lag Ba’Omer“, am 33. Tag, ebenso nicht in den drei Wochen vor „Tischa Be’Aw“, dem Gedenktag der Tempelzerstörung. Ungewöhnlich wäre auch eine Hochzeit in den 10 Bußtagen zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur (Tage ernster Besinnung). Man soll auch nicht eine Freude mit einer anderen vermischen, so dass auch die Zwischentage von Pessach und Sukkot nicht in Frage kommen.
Die jüdische Hochzeit beginnt traditioneller Weise mit einem speziellen „Kabbalat Panim“-Empfang zu Ehren des Bräutigams und der Braut. Zwei separate Empfänge werden parallel in benachbarten Räumlichkeiten gegeben: Einen für den Bräutigam und einen für die Braut. Der Tradition zu Folge vermeidet es das Brautpaar, sich eine Woche vor ihrer Hochzeit zu sehen. Die Braut sitzt auf einem kunstvoll dekorierten Thron-Sessel, ihre Freunde und Familienangehörigen umringen sie, wünschen ihr Glück und sprechen Worte der Ermunterung. Der Empfang des Bräutigams unterscheidet sich ein wenig: Lieder werden gesungen und Worte der Tora gelehrt. Bei beiden Empfängen wird ein leichtes Büfett serviert und auf das Wohl angestoßen.
Nach diesen Empfängen folgt das „Bedecken“ der Braut. Der Bräutigam geht, von einer ganzen Männer-Prozession begleitet, hinüber zum Empfang der Braut, deren Gesicht der Bräutigam mit dem Brautschleier bedeckt.
Der Schleier betont die Absicht des Bräutigams, seine Frau nicht wegen ihrer äußeren Schönheit heiraten zu wollen, diese lässt mit der Zeit nach. Er heiratet sie vielmehr wegen ihrer inneren Schönheit, die nie zur Neige gehen wird. Es betont ebenfalls ihre Bescheidenheit. Das Gesicht der Braut wird während der gesamten Trauzeremonie bedeckt bleiben, was ihr bei diesen heiligen Momenten eine gewisse Privatsphäre verschafft.
Der Brauch, das Gesicht der Braut mit einem Schleier zu bedecken, stammt von unserer Matriarchin Rebekka. Als sie Isaak traf, war ihr Gesicht bedeckt.
Der Hochzeitstag ist im Judentum ein ernst-feierlicher Tag. Das Brautpaar unterwirft sich an diesem Tag von morgens früh bis nach der Trauung einem strengen Fasten. In ihnen sollen Buße und Demut geweckt werden, aus diesem Grunde ist es auch üblich, dass der Bräutigam (Chatan) vor der Trauung das „Achtzehngebet“ Schmone Esre von Jom Kippur, dem Versöhnungsfest, mit dem Sündenbekenntnis betet. Als Zeichen der Demut werden den strenggläubigen Frauen die Haare abgeschnitten und als äußeres Zeichen der Reinheit dreht der zukünftige Ehemann seine Taschen um (mit dem Futter nach Außen). Zudem muss die Braut (Kalla) vorher ein rituelles Bad in der Mikwe nehmen.
Braut und Bräutigam werden zur Trauzeremonie unter die Chuppa begleitet. Die Chuppa ist ein von vier meist mit Blumengirlanden dekorierten Stangen gehaltenen Hochzeitsbaldachin aus edlem Stoff (Satin, Samt), der nach allen vier Seiten offen ist. Das symbolisiert die Bereitschaft des Brautpaares, ein für alle Gäste offenes Haus zu bauen, wie einst das Zelt von Abraham und Sara. Die Chuppa kann in der Synagoge stehen oder aber im Freien, wo Gottes Segen unmittelbar und ungehindert empfangen werden kann. (Im modernen Israel bei Angehörigen des Militärs besteht der Baldachin oft aus einem Gebetsmantel (Tallit), der an vier Gewehren befestigt und hochgehalten wird).
Der Bräutigam wird als erster zur Chuppa begleitet, wo er auf die Ankunft seiner Braut wartet. Üblicherweise wird eine langsame feierliche Musik gespielt, wenn Braut und Bräutigam zur Chuppa schreiten. In aschkenasischen Gemeinden umschreitet die Braut siebenmal ihren Bräutigam, wenn sie unter der Chuppa ankommt, bevor sie sich an seine Rechte stellt. Damit erschafft sie einen unsichtbaren Schutzraum um ihren Ehemann. In diesen wird nur sie eintreten, alle anderen werden ausgeschlossen.
Sobald Braut und Bräutigam nebeneinander unter dem Baldachin stehen, begrüßt sie der Kantor musikalisch mit einigen hebräischen Hymnen und einer Bitte um Gottes Segen für das neue Paar.
Die nun folgende Trauzeremonie wird von einem Rabbiner geleitet und wird in der Synagoge oder im Freien durchgeführt. Das Gesicht der Braut ist nach wie vor von ihrem Schleier verhüllt. In manchen Gemeinden trägt der Bräutigam während der Chuppa über dem Anzug einen weißen Kittel, sein späteres Totenhemd, welches traditionell an Jom Kippur getragen wird, ein Symbol für Sühne und Reinheit gegenüber Gott so wie auch das weiße Kleid der Braut.
Im ersten Teil der Zeremonie, der Angelobung „Erussin“, spricht der Rabbiner den Segen über einem Becher Wein, aus dem beide Brautleute trinken. Dann folgt im Beisein der zwei männlichen, nicht mit dem Brautpaar verwandten Zeugen der eigentliche Rechtsakt. Der Bräutigam streift der Frau einen Ring auf den Finger der rechten Hand und sagt dabei: “Durch diesen Ring bist Du mir angelobt nach dem Gesetz Moses und Israels“.
Danach verliest der Rabbiner laut den Ehevertrag, die „Ketuba“ (=“es ist geschrieben“), die er danach dem Bräutigam übergibt, welcher sie an die Braut ausgehändigt. Die Ketuba wird während der Hochzeit an einem sicheren Ort aufbewahrt. In der Ketuba, deren Text in Aramäisch verfasst ist und die meist schön ausgeschmückt ist, werden die Verbindlichkeiten des Mannes gegenüber seiner Frau festgehalten. Mit der Ketuba verpflichtet sich der Mann seine Frau zu ehren, zu kleiden, zu ernähren und ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Außerdem verspricht er, der Braut 200 Sus zu geben. Dadurch ist die Frau finanziell abgesichert. Beim Tod des Mannes oder im Falle einer Scheidung wird ihr die gesamte Ketubasumme ausgezahlt. Wenn aber die Frau die Scheidung verursacht, erlischt ihr Anspruch auf das Geld.
Für die Frau sind in der Ketuba keine Pflichten festgelegt.
Die eigentliche Eheschließung „Nissuin“ folgt darauf. Der Rabbiner spricht die sieben Hochzeitssegenssprüche und wieder trinkt das Brautpaar einen Schluck Wein. Es können mit dem Vortragen der Segenssprüche auch Freunde und Verwandte geehrt werden. Am Ende der Zeremonie zertritt der Mann ein in eine Serviette gewickeltes Glas, zur Erinnerung an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem. Zugleich mahnt dieser Brauch auch die Menschen, heitere Momente durch ernste Gedanken dämpfen zu müssen. Beim Zerbrechen des Glases rufen die Gäste traditionell „Masal Tow!“(Viel Glück!).
Unmittelbar nach der Chuppa werden Bräutigam und Braut in einen abschließbaren Raum, den „Jichud“-Raum geführt, wo sie ein paar Minuten für sich alleine haben. Im Jichud-Raum bricht das Brautpaar gewöhnlich ihr Fasten. Es ist auch der geeignete Moment, wo Braut und Bräutigam sich gegenseitig ihre Geschenke überreichen. (Bei sefardischen Hochzeiten wartet das neuvermählte Paar traditionell bis nach dem Hochzeitsempfang am Abend mit dem Jichud Raum).
Nun schließt sich der fröhliche und ausgelassene Teil der Feier, der Hochzeitsempfang, an. Es ist eine große Mizwa (gute Tat), das Brautpaar an ihrem besonderen Ehrentag zu erfreuen. Sobald das Brautpaar aus dem Jichud Raum treten, werden sie von ihren Gästen mit fröhlicher Musik, Singen und Tanzen gegrüßt. Die Männer mit dem Bräutigam und die Frauen mit der Braut tanzen traditionell in getrennten Tanzflächen. Nach dem ersten Tanz nehmen Braut und Bräutigam ihren Platz am Brauttisch ein. Zu ihren Seiten sitzen ihre Eltern, Großeltern, Rabbiner und andere Honoratioren. Traditionell spricht der Bräutigam den Segen über Brot, an diesem Tag eine riesige Challa, die er anschließend in kleine Stücke schneidet und an die Anwesenden verteilt. Sodann wird das Festessen serviert, das später mit dem Tischgebet und den sieben Segenssprüchen (wie zuvor unter der Chuppa) beendet wird.
Die jüdische Ehescheidung
Eine Ehe ist natürlich nicht immer glücklich und erfolgreich. Darum gibt es im jüdischen Eherecht auch die Institution der Scheidung „Geruschin“. Das Judentum sieht eine Scheidung jedoch nicht gern. Nach dem Talmud gilt die Ehe als heiliger Vertrag, dessen Auflösung ein unfrommer Akt wäre.
Möglichkeit, Formalitäten und Voraussetzung einer Scheidung sind bereits im 5. B. Moses 24,3 erwähnt. Die Scheidungsurkunde wird dort „Sefer Kritut“ (Buch der Trennung) genannt. Die rechtlichen Voraussetzungen wurden im Talmudtraktat Gittin festgelegt.
Die Prozedur ist allerdings kompliziert. Es ist ein Rabbinatskollegium von 3 Rabbinern notwendig sowie ein Minjan (zehn Männer) und der Ehemann muss der Frau einen Scheidebrief „Get“( das Wort bedeutete ursprünglich nur Urkunde und bekam dann die Bedeutung Scheidebrief) ausstellen lassen. Um zu verhindern, dass ein Mann sich unüberlegt aus einer Laune heraus scheiden lässt, muss eine Reihe von Vorschriften minutiös befolgt werden: Es darf kein fertiges Formular benutzt werden, sondern der Scheidebrief muss bei der Verhandlung speziell geschrieben werden. Das Papier oder Pergament, die Tinte und die Schreibfeder müssen Eigentum des Mannes sein. Das Dokument muss in hebräischer Quadratschrift geschrieben sein, die Buchstaben dürfen nicht miteinander verbunden werden, es darf nicht radiert werden, das ganze Stück muss genau 12 Zeilen umfassen, und in der dreizehnten, die zweigeteilt ist, erscheinen die Namen der Zeugen.
Für den aschkenasischen Bereich ist seit dem 10. Jahrhundert die Zustimmung der Frau notwendig, d.h. dass die Frau dadurch, dass sie den Scheidebrief berührt, ihr Einverständnis bekundet. Bei der Verhandlung ist die Anwesenheit der Frau nicht erforderlich. Der Get/Scheidebrief kann ihr auch durch dritte zugestellt werden. Wenn die Frau den Get annimmt, ist die Scheidung rechtskräftig; das Dokument wird zum Zeichen seiner Gültigkeit mit einem Riss versehen und beim Rabbinatsgericht archiviert.
Da die Scheidung die Initiative des Mannes erfordert, der den Scheidebrief geben muss, können allerdings erhebliche Schwierigkeiten eintreten. So kommt es vor, dass der Mann verschollen ist; er ist z.B. als Soldat in einen Krieg gezogen und gilt als vermisst oder der Mann hat aus beruflichen Gründen eine Seereise angetreten, ist aber nicht zurückgekommen. Dieses Problem kann nach jüdischem Eherecht nur dadurch gelöst werden, dass der Mann sich der Gefahr, in die er sich begibt, bewusst ist und vorsorglich einen Get schreiben lässt, der erst dann gültig wird, wenn er zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zurückgekehrt ist. Es ist auch denkbar, dass ein Mann seine Frau einfach verlassen hat und in ein fernes Land übersiedelt ist, ohne dass sein Aufenthaltsort ermittelt werden kann. Eine Frau, die vergeblich auf die Rückkehr ihres Gatten wartet, wird als verlassene Frau bezeichnet (Aguna). Das zuständige Rabbinatsgericht muss sich mit dem Fall befassen und wird versuchen, im Interesse der Frau eine Lösung zu finden, aber das erfordert ein sehr schwieriges und langwieriges Verfahren. Im Prinzip ist der Fall der Aguna religionsgesetzlich bis heute ungelöst.
Aus der Tatsache, dass nur der Mann die Scheidung beantragen kann und den Get, den Scheidebrief, ausstellen lassen kann, ergibt sich eine schwerwiegende und folgenreiche Benachteiligung der Frau. Die Frau verfügt zwar über ein rudimentäres Scheidungsrecht, jedoch wurde es nie ausgearbeitet und gefestigt. So kann sie ohne die Zustimmung ihres Mannes ihren Scheidungswunsch nicht verwirklichen.
Nur für einige wenige objektiv sehr schwerwiegende Gründe, gibt es von jeher ein Scheidungsrecht der Frau, nämlich wenn
- der Mann sich weigert, mit seiner Frau Geschlechtsverkehr zu haben
- der Mann seinen Unterhaltspflichten nicht nachkommt,
- der Mann seiner Frau untreu ist,
- der Mann seine Frau gewohnheitsmäßig schlägt,
- der Mann an einer abstoßenden Krankheit leidet.
Willigt der Mann aber nicht in den Scheidungswunsch seiner Frau ein, wird es auch mit einem anerkannten Scheidungsgrund für die Frau überaus schwierig, denn sie kann selbst ja nicht offiziell die religiöse Scheidung beantragen.
Sie kann zwar zum Gemeinderabbiner gehen und ihn bitten, wenn einer der zuvor genannten Gründe beweisbar ist, auf den Mann einzuwirken, den Scheidebrief zu geben oder ein religiöses Gericht einzuberufen, das bei Beweisbarkeit des anerkannten Grundes den Mann zur Scheidung zwingen kann. Ist der Rabbiner hilfsbereit, kann die Frau hoffen. Weigert er sich, bzw. besteht er darauf, dass zuerst alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden müssen, die Ehe zu retten – und darauf bestehen trotz beweisbarer Gründe sehr viele orthodoxe Rabbiner, dann beginnt für die Frau ein langer Leidensweg der Unfreiheit und Abhängigkeit. Es wird mit dem Mann gesprochen und verspricht er Besserung, können Fristen bis zu sieben Jahren gesetzt werden, bevor die Frau mit ihrem Scheidungswunsch wieder vorsprechen kann.
Natürlich können in den meisten Diasporaländern diese Frauen eine zivile Scheidung beantragen, die wenigstens die Trennung vom Mann, den Unterhalt für sie und die Kinder regelt. Die Frauen vermisster Männer erhalten ebenfalls nach einer gesetzlichen Frist einen offiziellen Totenschein vom Staat. Doch anerkannt werden diese Scheidungen und Totenscheine von orthodoxen Rabbinaten nicht. Frauen, deren Ehemänner die religiöse Scheidung verweigern, gelten deshalb auch nach einer zivilen Scheidung weiterhin als verheiratet. Eine neue Beziehung oder zivile Heirat ist Ehebruch. Kinder aus einer solchen Beziehung oder zivilen Ehe sind „Mamserim“, Bastarde, die nur beschränkt ins religiöse Leben integriert sind.